Heute soll es einmal um ein Thema gehen, welches auf den ersten Blick nicht wirklich spannend ist. Trotzdem ist der Einfluß dieses Punktes auf unsere Reise und die jedes Overlanders sehr wichtig. Bevor es jedoch an’s Eingemachte geht: Wir wurden zu keinem Zeitpunkt von Michelin gesponsert, noch können wir einen Vergleich zu anderen LKW Reifen ziehen. Unser Bericht spiegelt ausschließlich unsere eigene Erfahrung und Meinung wieder.
Eine der grundsätzlichen Entscheidungen beim Aufbau unseres Reisemobils war die Frage, welche Radgröße, und danach natürlich, welche Reifenart wir wählen sollten. Natürlich steht es außerfrage, daß die militärischen Offroad-Stollenreifen einem Reisemobil einen extrem martialischen Offroadtouch geben und natürlich wäre ich – Boris – diesem Reiz nur zu gerne erlegen. Aber da wir auch beim Fahrzeug den Weg der Vernunft gegangen sind, um das Reisen möglichst einfach zu gestalten, entschieden wir uns für Standard-LKW Reifen- und Radgrößen, die weltweit einfach verfügbar sind: 22.5 Zoll, 385er Breite und 65er Querschnitt. Da uns klar war, daß wir natürlich einen gewissen Offroad Anteil haben werden und auch spätestens in der Höhe hier und da den Winter antreffen würden, war die Reifenwahl die größere Challenge. Uns war wichtig, daß der Reifen auf Asphalt und bei Nässe laufruhig ist; schließlich macht Asphalt beim Reisen immer noch den größten Anteil aus. Gleichzeitig sollte der Reifen wintertauglich sein und zumindest auf trockenem Schnee genügend Grip haben. Da Kosten beim Reisen natürlich auch immer ein Thema sind, sollte die Haltbarkeit des Reifens ebenfalls möglichst hoch sein und dabei gewisse Offroad-Eigenschaften bis zum Lebensende behalten.
Nimmt man all‘ diese gewünschten Eigenschaften, landet man automatisch bei der Reifengattung „Baustellenreifen“, von der so ziemlich jeder Reifenanbieter mindestens ein Model im Angebot hat. Die Preisspanne der verschiedenen Anbieter bei scheinbar gleichen Eigenschaften variiert bis zum doppelten Preis des günstigsten Anbieters. Was also tun? Grundsätzlich ist der Aufbau des Profils bei allen Anbietern mehr oder weniger gleich, und die Reifenmischung bleibt für den Laien so oder so ein Geheimnis. Kommt es zur Robustheit des Reifens, werden die sog. Steel-Layer von Lauffläche und Flanke relevant. Von diesen bietet der Reifen unserer Wahl auf der Lauffläche 5 Layer und auf der Flanke 1 Layer. Generell helfen objektive Test- und Erfahrungsberichte leider wenig weiter, da hierfür im LKW Bereich anscheinend weniger Interesse als im PKW-Bereich besteht.
Wir haben uns deshalb für den Reifen entschieden, der unseres Wissens zuerst mit dieser Profilart auf dem Markt war, und leider auch den höchsten Preis im Vergleich aufruft. Unsere Wahl fiel auf den Reifen: Michelin XZY 3, 385/65 R22.5, in der Ausführung mit 3PMSF. Ein Tausch während der Reise auf andere Hersteller im gleichen Format wäre damit jederzeit möglich gewesen.
Bereits bei der ersten Fahrt mit unserem Reisemobil trat dann das ein, was sich niemand wünscht: Kurz vor der Ankunft zu Hause in Wolfsegg erwischte uns Blitzeis vom Allerfeinsten. Interessanterweise hatten wir beim Fahren zwar die Eisfläche gesehen, aber nicht gespürt. Beim Aussteigen wurde dann schnell klar, daß auf der Eisfläche selbst das Laufen schwer möglich war, während der LKW scheinbar kaum Haftungsprobleme hatte. Bitte nicht falsch verstehen: Auch uns ist klar, daß bei Eis kein Reifen wirkliche Hilfe bietet, sondern nur Ketten oder Spikes eine effektive Lösung darstellen. Später, während unserer Reise, hatten wir dann öfters mal Gelegenheit, den Reifen auf einer Schneedecke zu fahren und können klar bestätigen, daß die Wintertauglichkeit super ist – auch wenn wir hoffentlich von neuem Eis möglichst verschont bleiben.
Während der Schnee von dem Reifen durch den lamellenartigen Aufbau wieder perfekt ausgeworfen wird und damit die Haftung bestehen bleibt, mußten wir auf der Reise schnell lernen, daß im Schlamm, und besonders im lehmigen Schlamm, die Grenzen des Reifens schnell erreicht sind, da sich der Schlamm wie eine glitschige Schicht um den Reifen legt und damit absolut keine Haftung mehr gegeben ist. Außerdem sammelt der Reifen aufgrund des relativ schmalen Negativanteils Steine jeder Größe ein, die teilweise manuell entfernt werden müssen, da der Reifen sie ansonsten unkontrolliert in die Radkästen wirft oder im schlimmsten Fall den nachfolgenden Verkehr bombardiert. Hier gilt: Je neuer der Reifen, desto öfters muß dieser nach einer Pistenfahrt manuell von Steinen gesäubert werden. Für beides hätte hier der Militärreifen die besseren Eigenschaften geboten, da die Selbstreinigung durch den hohen Negativprofilanteil besser funktioniert. Von Reisenden mit Militärreifen wissen wir allerdings, daß die Wintereignung dieser Reifen überraschenderweise gegen Null geht. Auf unserer Reise sind wir in diese extreme Situation (d.h. Schlamm und Lehm) nur sehr selten gekommen, auch wenn es schon erschreckend ist, zu erleben, wenn unser 10 t Patsha im Stand beginnt, unkontrolliert Richtung Böschung zu rutschen. Grundsätzlich hatten wir bei unserem LKW, der einerseits durch die gute Verschränkung jederzeit sicherstellen konnte, daß die Räder in jedem Gelände am Boden blieben, und andererseits durch Längs- und hintere Quersperre ein Durchdrehen der Reifen verhindern kann, niemals Traktionsprobleme. Auch nicht an steilsten Anfahrten auf losem Untergrund (z.B. in Flußbetten). Hier waren wir überrascht, daß wir das gröbere Profil eines Militärreifens niemals vermisst haben. Wie gesagt: Hier gilt klar die Ausnahme von Schlamm und Lehm. Letztgenannte Situation durften wir auf dem Dalton Highway (Alaska) erleben: In matschigen Baustellen, die die wunderschöne Mischung aus gewässertem Calcium Chlorid bei erheblichen und langen Steigungen bieten. Ohne Mittelsperre war hier ein Fahren trotz angepaßtem Luftdruck nicht mehr möglich.
Während viele Langzeitreisende immer wieder erwähnen, daß der Reifen die häufigste Pannenquelle unterwegs darstellt, können wir heute nach 100.000 km Fahrt klar sagen, daß unsere Reifen überhaupt keine Quelle für Pannen waren. Das einzige Problem unterwegs hatten wir mit einer Schraube, die wir uns in Griechenland auf der Lauffläche eingefangen hatten. Ein Flicken des Reifens mit normalem Flickset war damals selbst im Schnee möglich, und das finale Flicken des Reifens von der Innenseite hat diesen bis zum Ende seiner normalen Lebensdauer von über 100.000 km ohne Probleme überleben lassen. Im Gegensatz zu den realen Problemen hat uns unser Reifendruckkontrollsystem (TireMoni) vor allem am Anfang unserer Reise oft ins Schwitzen gebracht, da wir erst lernen mußten, daß ein LKW Reifen seinen Druck abhängig von Sonneneinstrahlung und Walkkräften deutlich variiert. Real hatten wir hier jedoch nie ein Problem.
Um den Druck – vor allem im Gelände – anpassen zu können, hatten wir uns für ein System von ti.Systems entschieden, mit dem wir zwar nicht während der Fahrt, aber im Stand, den Reifendruck schnell erhöhen bzw. senken können. Dafür ist an jedem Rad ein eigener Spiralschlauch verfügbar, so daß die Anpassung normalerweise innerhalb von 5-10 min. erledigt ist.
Zu unseren verwendeten Reifendrücken bei einer Achslast von vorne 4 t und hinten 6 t:
- Drücke auf Asphalt: vorne 5.5 bar, hinten 6.9 bar – im aufgewärmten Fahrbetrieb
- Auf guter Piste haben wir normalerweise den Druck pro Achse um 1.5 bar reduziert
- Speziell auf steinigen Pisten mit scharfkantigen oder Vulkansteinen bzw. überraschend auftauchenden, tiefen Schlaglöchern sind wir gerne etwas höhere Drücke gefahren (d.h. 1 bar unter Asphaltdruck), da so die Lauffläche weiterhin durch die 5 Steel-Layer geschützt und die Flanke durch die geringere Ausbauchung keiner unnötigen Gefahr ausgesetzt ist. Dies führt natürlich auf der Piste zu einem geringeren Komfort, den ein noch geringerer Reifendruck bringen würde.
- Auf Waschbrett sind wir auf der Vorderachse mit Drücken von minimal 3 bar und Hinterachse 4.5 bar gefahren
- Drücke im (nicht Sahara) Sand: Vorne knapp unter 3 bar, hinten knapp unter 4 bar – kurzzeitig und bei niedriger Geschwindigkeit
- Unser Minimaldruck, den wir aber wirklich nur für die Bergung aus einer schlammigen Wiese verwendet haben, war auf beiden Achsen 2 bar. Unter diese 2 bar würden wir nicht gehen wollen, da erstens die Traktion schon hervorragend ist, und zweitens die Gefahr einer Beschädigung der Flanke aufgrund der extremen Ausbauchung gegeben ist. Hier wäre der zweite Vorteil eines Militärreifens auf 20 Zoll Felgenbasis, da der Reifenanteil des Querschnitts deutlich größer ist und damit mehr Ausbauchung, d.h. noch kleinere Drücke, gefahren werden können. Da wir im Gelände jedoch niemals Traktionsprobleme (Mittelsperre / Hinterachssperre aktiv) hatten, haben wir diesen zusätzlichen Effekt nicht gebraucht.
Ein kurzer Kommentar zur Verwendung des TireMonis in Kombination mit den Schnellverschlußventilen des Reifenbefüllsystems ti.Systems: Durch die vielen Dichtstellen erhöht sich natürlich das Risiko einer Undichtigkeit am Ventil, was aber durch einfaches Nachziehen schnell behoben ist. Weiter muß darauf geachtet werden, daß das sehr lang aufbauende Ventil innerhalb der Felge bleibt, um nicht im Gelände durch Steine abgeschert zu werden.
Als sehr hilfreich haben sich für uns unsere Reifenmarkierungszeiger erwiesen. Das sind die kleinen, bei uns neon-gelben Plastikpfeile an den Radmuttern. Einmal positioniert und ausgerichtet würde man so erkennen, wenn sich die Radmuttern von selber lösen.
Grundsätzlich hätte unser Reifen die Möglichkeit des Nachschneidens als auch Erneuerung der Lauffläche geboten. Wir haben beides nicht genutzt, weil wir das stärke Profil selbst im Gelände bei runtergefahrenen Reifen (17 mm Neuprofil, 10 mm bei 100.000 km) nicht benötigt haben, und eine Erneuerung der Lauffläche aufgrund des viel zu hohen Risikos einer Reifenpanne nicht in Frage kam (gut sichtbar an den Straßenrändern der USA, wo die abgelösten Laufflächen überall umherliegen). Nach über 100.000 km haben wir uns entschieden, die Reifen zu wechseln, obwohl immer noch 10 mm Profiltiefe vorhanden war, da durch das Offroad-Fahren jetzt doch tiefe Risse in den Profilblöcken sichtbar wurden, die das Risiko von eindringenden Steinen, die mühsam herausoperiert werden müssen, immer mehr erhöht haben. Die Flanke wurde im Gelände durch Steine teilweise massiv beansprucht, was zwar auf der Außenseite des Außenreifens durch schwarze Radierungen sichtbar wurde, jedoch erstaunlicherweise nie zu einer Beschädigung des Reifens führte. Generell waren Traktion und Laufruhe bis zum Lebensende auf Neureifen-Niveau.
Auf unserem LKW mit permanentem Allradantrieb und einer Achsverteilung von 6 t hinten und 4 t vorne haben sich die Reifen vorne und hinten so gleich abgenutzt, daß ein Tausch von vorne nach hinten unnötig war (Profiltiefe bei Lebensende vorne 11 mm, hinten 10 mm). Bei den neuen Reifen würden wir als lessons-learned die Reifen auf beiden Achsen jeweils auf der Felge drehen, um eine gleichmäßigere Abnutzung innen-außen herzustellen. Dies ist jedoch LKW-spezifisch und nicht Reifen-spezifisch. Sägezahn konnten wir nur in Bremsrichtung in sehr leichtem Maß feststellen. Ein Tausch der Räder von links nach rechts pro Achse bei ca. 50.000 km stellte sicher, daß die Abnutzung bzgl. Sägezahn am Lebensende vollkommen gleichmäßig war. Laufruhe – wie erwähnt – perfekt bis zum Lebensende. Unsere bislang benutzten Vorderreifen, die keine Beschädigungen aufweisen, verwenden wir jetzt als Ersatzreifen.
Auch wenn wir dies bei der ursprünglichen Reifenwahl nicht gedacht hätten, haben wir uns deshalb wieder für den gleichen Reifen entschieden, auch wenn der Preis leider schon erheblich über dem seiner Konkurrenz liegt.